Folge III
Größter „Tatort"-Fan Deutschlands EXKLUSIV: „Das läuft falsch in der Krimi-Reihe"
Interview mit François Werner aus dem Jahr 2016. Quelle: Landesschau Baden-Württemberg/Youtube
Alexander Boos
Der „Tatort": „Das ist ein ganz wichtiges Fernseh-Ritual", sagt Schauspielerin Anna Schudt (TV-Kommissarin Bönisch im Dortmunder Tatort-Team) über Deutschlands erfolgreichste Krimi-Reihe. Sputnik geht dem TV-Phänomen auf den Grund. In dieser Folge sprechen wir mit dem größten Edel-Fan des Kult-Krimis: François Werner. Der ist seiner Lieblings-Reihe so nah, dass er sogar schon mal in einer Tatort-Folge mitgewirkt hat …
Er ist Deutschlands größter Edel-Fan der Reihe, betreibt die beste Plattform für „Tatort"-Fans im Internet, von der sich selbst Regisseure und Drehbuchautoren Tipps holen: François Werner. Im exklusiven Sputnik-Interview spricht er über seine Leidenschaft, seine Lieblings-Ermittler – und was er den heutigen Machern der Krimi-Reihe raten würde.

François Werner (44) aus Mannheim ist ein wandelndes Tatort-Lexikon. Der studierte Ernährungswissenschaftler hat alle (!) Tatort-Folgen gesehen. Und auf seiner Internet-Homepage dokumentiert. Sein Archiv umfasst mehrere Holzregale voller Tatort-Devotionalien: DVDs, Bücher, Skripte, Akten-Ordnern. Darunter sogar Original-Drehbücher. Er weiß einfach alles über die erfolgreichste deutsche Krimi-Reihe.
Schon als kleiner Junge habe ich sehr schnell eine große Liebe für das Krimi-Genre entwickelt, das in Deutschland ohnehin sehr beliebt ist", sagte er im Sputnik-Interview. Irgendwann stieß er dann auf den „großen, ehrfürchtigen Tatort am Sonntag um 20:15 Uhr.
François Werner
Den hätte er damals noch gar nicht gucken dürfen. Er sei noch zu jung, sagten seine Eltern. Trotzdem las er alles darüber. So fand er damals in Boulevard-Zeitungen schon Ankündigungen, „wie oft Horst Schimanski das böse Wort mit ‚S' sagen würde".
Schimanski: „Wichtig für die Reihe – aber nicht der beste Ermittler"

Schimanski war ab 1981 ein bekannter Tatort-Ermittler. Die TV-Figur wurde dargestellt vom beliebten Berliner Schauspieler Götz George, der 2013 verstarb. Sein Markenzeichen war seine bärbeißige Art und die beige-graue Feldjacke, seither umgangssprachlich „Schimanski-Jacke" genannt. Das Boulevard-Blatt „Bild" zählte 1991 sogar die Häufigkeit seiner Schimpfwörter. 2008 wurde Schimanski in einer Beliebtheitsumfrage bei deutschen TV-Zuschauern auf den ersten Platz aller Tatort-Kommissare gewählt.
Tatort-Kommissar Horst Schimanski (Götz George)
Foto: WDR / Stefan Falke
Für Edel-Fan Werner war Schimanski seinerzeit zwar schon präsent. „Seine Filme fand ich aber nie überragend. Die Schimanski-Folgen sind tolle Tatorte. Er liegt aber nur im gesunden Mittelfeld meiner persönlichen Präferenzen. Ich würde seine Figur – die sicherlich sehr wichtig war für die Erfolgsgeschichte des Krimi-Klassikers – nicht zu meinen absoluten Favoriten zählen."
Werners Online-Fundus zum „Tatort"

Auf seiner Homepage Tatort-Fundus.de, die Werner seit 1997 betreibt, hat er alle bisherigen 1059 Tatort-Folgen sauber und detailliert dokumentiert. Die Website liefert Hintergrund-Berichte vom Dreh, Interviews mit Tatort-Machern und News zur Reihe. Darunter nicht nur Informationen über frühere Folgen, sondern auch über noch ausstehende Erstausstrahlungen. So wirft die Seite bereits jetzt einen Blick auf die neue Folge aus Weimar: „Tatort: Der Kalte Fritte".
Film-Szene aus dem aktuellen Tatort aus Weimar: „Der Kalte Fritte"
Foto: MDR / Anke Neugebauer
Echte Fans finden auf Werners Seite eine Fülle von Informationen zu „allen Tatorten, die über die ARD-Senderketten ausgestrahlt wurden. Ich betreibe die einzige Webseite, die auch 13 Tatorte des österreichischen Rundfunks, also des ORF, auflistet. Einfach, weil wir den Tatort ganzheitlich betrachten. Und er ist eben eine Gemeinschaftsproduktion mit Österreich und der Schweiz. Insoweit haben wir 13 Tatorte mehr als alle anderen. Wir halten uns aber an die ARD-Zählung."
„Ich zähle die Tatort-Leichen"

Gezählt werde noch etwas ganz anderes. „Wir zählen jedes Jahr die Tatort-Leichen für die Nachrichten-Agentur dpa", verriet er. „Wenn Sie zum Jahresende in einer deutschen Tageszeitung blättern, dann finden Sie dort unsere alljährliche Leichenzählung. Ich bediene da offensichtlich einen Bedarf von den Tageszeitungen und der dpa. Wir haben damit 2012 angefangen."
Als dann 2013 Kino-Star Til Schweiger beim Tatort einstieg, wurde das Leichenzählen unabdingbar. In „Kopfgeld", Schweigers zweitem Tatort-Einsatz, gab es – ganz in Hollywood-Manier – 19 Leichen. „Das war sinnloses Rumgeballere in Hamburg", kommentierte Werner. „Die mediale Aufmerksamkeit für Til Schweiger war natürlich besonders groß. Hatte er auch selbst für gesorgt. Zum Beispiel mit dieser unrühmlichen Forderung, den Tatort-Vorspann zu verändern."
19 Tote wurden 2014 im „Tatort: Kopfgeld" gezählt. (Film-Szene: Til Schweiger alias Nick Tschiller ist verwundet)
Foto: ARD / NDR / Marion von der Mehden
Die Leichenzählung habe Werner übrigens auf Anfrage begonnen. „Also man kann uns auch anrufen und nach Tatort-internen Details fragen." Er wisse zudem, dass Sender, Drehbuchautoren, Produzenten und Darsteller häufig „mit Argusaugen auf unsere Seite schielen." Selbst TV-Moderator Jörg Pilawa holte sich Werners Fachkenntnisse für das „Tatort-Quiz" bei der ARD.
„Undercover": Nebenrolle als Dank vom Regisseur
2002 hatte er das große Glück, selbst bei einer Tatort-Folge mitzuwirken. In „Undercover" habe „ich einen Polizisten gespielt. Der Hintergrund ist, dass ich den Regisseur kannte. Er war ein großer Fan unserer Webseite. Ich informierte ihn regelmäßig über Wiederholungstermine seiner Tatort-Folgen." Als Dank dafür erhielt er schließlich vom Regisseur Thomas Bohn eine kleine Rolle in besagter Tatort-Episode. „Ich hatte einen wunderschönen Drehtag in Hamburg. Ich konnte dort mal live sehen, wie es ist, so eine ganz kleine, unaufgeregte Szene zu drehen und zu inszenieren. Was da alles an Arbeit notwendig ist. Das war sehr wichtig für mich, da mal diese Einblicke zu bekommen." Er habe dafür 100 Euro Honorar erhalten –und „ein wunderbares Mittagessen mit dem Dreh-Team."

Der ohnehin erfolgreiche Tatort befinde sich derzeit auf einem besonders hohen Niveau. „Die letzten drei Folgen hatten über 10 Millionen Zuschauer", so Werner. Ihm zufolge wurde der Grundstein für diesen Erfolg in den 70er und 80er Jahren gelegt. Selbstverständlich hätten sich auch die Sehgewohnheiten der Zuschauer stark geändert. Angepasst im Wandel der Zeit. Optisch seien die Filme aus der damaligen Zeit sicherlich kein Vorbild. „Natürlich muss sich das an die heutigen Gewohnheiten anpassen." Aber inhaltlich seien die alten Tatort-Klassiker top gewesen: „Da kann man sicherlich auch mit den heutigen Mitteln Geschichten erzählen, wie man es in den 70ern und 80ern gemacht hat."
Kritik am heutigen „Tatort"

Der Edel-Fan vermisst bei heutigen Tatort-Episoden den Fokus auf den Fall:
Die Folgen sind mir oft zu überfrachtet. Mir gefällt nicht, dass oft die Kriminalgeschichte zu dünn ist, zu stark in den Hintergrund gerät. Das private Gedöns der Ermittler tritt viel zu sehr in den Vordergrund. Ich habe immer noch eine Erwartungshaltung, dass ich einen Krimi, einen Ermittler-Krimi oder eine Thriller-Geschichte aufgelöst bekomme.
François Werner
Das sei heute viel plumper. Das Privatleben der Ermittler werde in der Filmreihe nur noch „als Gag" gezeigt. „Was auch plump ist: Wenn es einen Tatort gibt, der im Alkoholiker-Milieu spielt, dann muss sich der Hauptermittler fragen, ob er auch ein Alkoholproblem hat. Das ist mir oft zu dick aufgetragen. Zu einfach hergeholt und auch nicht mehr elegant. Völlig unnötig." Das bringe die Geschichte des Films nur wenig voran. „Die Tatort-Redakteure wollen, dass wir mit den Ermittlern, die unsere Helden-Figuren sind, mitleiden, mitfühlen, mitfiebern im Fall." Dazu würde er sich jedoch wünschen, dass das Privatleben der Kommissare mehr zur Lösung des Falls beitrage.
Warum der „Tatort" früher besser war …

Der Edel-Fan denke, genau das habe das Tatort-Drehteam in früheren Jahrzehnten zwar auch gemacht, aber deutlich besser: „Viel besser dosiert." Denn erst die intelligente Vernetzung von Ermittlungen und Privatleben aus der Tatort-Urzeit habe die Grundlage für die heutigen Erfolge geschaffen.

„Deshalb kann mir niemand erzählen, dass es nicht auch anders funktioniert, was die Dramaturgie und das Erzählen der Geschichten angeht." Da sei weniger einfach mehr. „Natürlich entstehen noch heute sehr gute Tatorte. Aber mein Herz schlägt stark für die Tatorte aus den 70er und 80er Jahren. Immer weniger für die Massenware, die heute im Tatort passiert."
Tatort-Kommissar Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy)
Foto: WDR / Stefan Falke
„Meine Lieblings-Tatort-Ermittler"

Für François Werner ist der beste Tatort-Kommissar Heinz Haferkamp (gespielt von Hansjörg Felmy), der in den 70er Jahren ermittelte. Ebenso Kommissar Paul Trimmel (gespielt von Walter Richter) und Kommissar Finke (gespielt von Klaus Schwarzkopf), die in Norddeutschland aktiv waren. Bei diesen alten Folgen erkenne er auch das altbewährte Tatort-Erfolgsrezept: Fokus auf den Ermittler-Fall, Privates im Hintergrund.
Wenn Sie sich die Folgen mit Hansjörg Felmy als Haferkamp angucken. Der hatte auch ein Privatleben: Er hatte eine Ex-Frau, mit der er sich regelmäßig traf. Er hatte eine Vorliebe für Buletten. Und für Jazz-Musik. Das alles war feindosiert. Aber der Kriminalfall stand im Vordergrund. Die Ex-Frau hat ihm vielleicht mal einen Tipp gegeben und so manchmal die Lösung gebracht.
François Werner
Zu seinen liebsten aktuellen Ermittlern gehöre TV-Kommissar Borowski aus Kiel. 2014 hat François Werner ein „Tatort"-Buch veröffentlicht. „Das ist eine Ansammlung von Fakten, Anekdoten und lustigen Begebenheiten. Sie erfahren darin sehr viel über den Tatort." Sprach der Edel-Tatort-Fan, der am Sonntagabend wieder wie gewohnt vor dem Fernseher seine liebste Krimi-Reihe verfolgen wird. Mal sehen, welche Neuigkeiten sich zur neusten Folge, „Der Kalte Fritte", bald auf seiner Fan-Homepage finden werden. Der Tatort-Fundus wächst weiter.
Das komplette Interview mit „Tatort"-Edel-Fan François Werner zum Nachhören:


Am Sonntag, den 11. Februar, läuft der Tatort: „Der Kalte Fritte" um 20:15 Uhr in der ARD, im ORF (Österreich) und im SRF (Schweiz). Diesmal muss das Ermittler-Team Dorn und Lessing aus dem beschaulichen Weimar den kaltblütigen Mord an einem Milliardär aufklären.
Am Sonntag, den 11. Februar, läuft der Tatort: „Der Kalte Fritte" um 20:15 Uhr in der ARD, im ORF (Österreich) und im SRF (Schweiz). Diesmal muss das Ermittler-Team Dorn und Lessing aus dem beschaulichen Weimar den kaltblütigen Mord an einem Milliardär aufklären.
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