Von der Motorsport-Legende zur hippen Event-Location:
AVUS-Geschichte im Umbruch

Der Kalender der Formel-1-Rennen, der Königsklasse des Automobilsports, schließt mit jedem Jahr immer neue Länder ein und umfasst bereits 10 Monate. Zusätzlich zu den aktuellen 21 Standorten wird 2020 noch die vietnamesische Hauptstadt Hanoi dabei sein. Große Chancen, das Gebrüll der Turbo-Motoren zu hören, haben auch die Straßen von Miami und London. Deutschland kann dagegen die Formel-1-Rennen bald verlieren. Die Vertragsverlängerung beim Hockenheimring hängt in der Schwebe und eine andere Traditionsstrecke, nämlich die Nürburger Nordschleife, beeilt sich nicht, die Nachfolge anzutreten. Mittlerweile laufen ambitiöse Restaurierungsarbeiten an einer ehemaligen Rennstrecke mitten in Berlin, die den meisten trotz ihrer reichen Motorsport-Geschichte mit einem anderen Status bekannt ist.
Bau-Geschichte:
Die erste
ausschließliche Autostraße der Welt

1909 wurde die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH (AVUS GmbH) zur Schaffung der ersten Strecke gegründet, auf der ausschließlich motorisierte Fahrzeuge verkehren sollten. Den Hintergrund bildeten die schlechten Ergebnisse deutscher Fahrer bei Autorennen und der Wunsch, die deutsche Automobilindustrie stärker zu fördern. Nach ersten Anträgen ab 1909 genehmigte der autobegeisterte Kaiser Wilhelm II. den Bau der AVUS, die schnurgerade mit einer Länge von 8,3 Kilometern durch den Berliner Grunewald zum Schlachtensee verlaufen sollte.
Nach endgültiger Umwandlung der AVUS in die A115 hat jedermann die Chance, sich aus Richtung Potsdam kommend oder bei Fahrt über den Zentralen Omnibusbahnhof Berlin ein bisschen wie eine Formel-1-Legende zu fühlen – passiert man doch die Startlinie und Haupttribüne einer ehemaligen Rennstrecke.
1913 begann der Bau, der jedoch 1914 durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs kurz vor Fertigstellung unterbrochen wurde. Durch private Investitionen wurde der Bau der ersten ausschließlichen Autostraße der Welt 1921 dann doch abgeschlossen. Mit einer Nord- und einer Südschleife zu einem Rundkurs verbunden, betrug die Länge der AVUS-Strecke 19 Kilometer. Die AVUS öffnete am 24. September mit einem ersten Rennwochenende. Nach dieser Eröffnung wurde sie für den öffentlichen Verkehr freigegeben.
Der Konstrukteur Fritz von Opel auf seinem raketengetriebenen Prototyp RAK2 in voller Fahrt auf der AVUS-Bahn in Berlin. Mit diesem Fahrzeug gelang ihm, am 23. Mai 1928 mit 238 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord aufzustellen. Bildquelle: AP Photo/HO/Opel
Um die Rundengeschwindigkeiten zu erhöhen und aus Platzmangel für die Halenseestraße wurde 1937 die alte Nordkurve durch eine überhöhte Steilkurve mit geringerem Radius ersetzt. Am Ausgang der Nordkurve wurde ein Schiedsrichterturm gebaut und es wurde eine Tribünenanlage errichtet. 1940 und 1941 wurde die AVUS mit der A 115 verbunden und letztere musste für Wochenendrennen gesperrt werden. Immer wieder zeigten sich bei den Rennen aber die Schwächen der Strecke, die in einem mangelhaften Belag sowie gefährlichen Kurven lagen und in der Renngeschichte für viele Unfälle, mitunter mit Toten, sorgten.
Die Rennen:
Eine Geschichte von Höchstgeschwindigkeiten und Unfällen

Die ersten Rennen fanden am 24. und 25. September 1921 in unterschiedlichen Klassen statt. Als Sieger des Hauptrennens ging der lokale Rennfahrer Christian Riecken hervor. Auf der AVUS fahren aber nicht nur Autos sondern auch Motorräder. Das erste Motorradrennen fand am 10. Juni 1922 statt. Am 11. Juli 1926 folgte der nächste Meilenstein in der Renngeschichte der AVUS, der erste Große Preis von Deutschland, der später an der Nürburg ausgetragen wurde. Allerdings sorgten bei dem Rennen Witterung und ein schlechter Straßenbelag für viele Unfälle und Ausfälle. Der Sieger war der Mercedes-Verkäufer Rudolf Caracciola mit seinem Mercedes-Benz, der auch bei einem Rennen im Jahr 1931 siegte.
Um die deutschen Fahrzeuge noch wettbewerbsfähiger zu machen, investierten die Nationalsozialisten viele finanzielle Mittel in den Rennsport. Es entstanden die berühmten Silberpfeile von Mercedes Benz und Auto Union. Diese überflügelten alle Mitstreiter bei einem Rennen am 30. Mai 1937. Der Sieger Hermann Lang erreichte hier eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 400 Km/h.
Reportage von der einzigen Formel-1-Veranstaltung auf der AVUS-Rennstrecke, die im Sommer 1959 stattfand. In der 25 Sekunde ist der Unfall des Deutschen Hans Hermann zu sehen, bei dem er nur leicht verletzt wurde. Sein französischer Kollege, Jean Behra, war weniger glücklich und kam am Vortag bei einem Sportwagen-Rennen ums Leben. Video von British Pathé
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die AVUS 1951 mit einem Rennen wiedereröffnet. 1959 wurde der Große Preis von Deutschland statt auf der Nürburg-Nordschleife wieder auf der AVUS ausgetragen. Die Entscheidung für das noch nicht durch eine Mauer geteilte Berlin als Austragungsort war politischer Natur. Das Rennen gewann der Ferrari-Fahrer Tony Brooks, der sich auch den französischen Grand Prix holte. Der B.R.M.-Fahrer Hans Hermann dagegen hatte einen spektakulären Unfall: Er überschlug sich in der Südkurve und kam mit sehr viel Glück relativ unbeschadet davon. Beim Sportwagenrennen des Vortages starb allerdings der Vorjahressieger Jean Behra, als sein Porsche 718 im Regen über den äußeren Rand der Steilkurve schoss und an einem Fahnenmast zerschellte.
Die Super-Touren-Wagen-Rennen zum 75-jährigen Jubiläum der AVUS 1996.
Bildquelle: AP Photo/Hans Edinger
Mit diesem Großen Preis endeten derart große Wettrennen auf der AVUS. Wegen anhaltender Startprobleme und Unfälle verabschiedeten sich im Jahr 1995 die Deutschen Touring Masters (DTM) von der Strecke und 1996 der Super Tourenwagen Cup (STW). 1998 fanden die letzten Rennen statt und 1999 gab es eine Abschiedsfeier.
Die AVUS im Wandel:
Motel AVUS und ein Event-Ort

1977 wurde der Schiedsrichterturm an der Nordkurve renoviert und verwandelte sich in ein Motel, das bis heute Gästen Betten bietet und Mahlzeiten serviert, die auf der Durchreise über die A 115 unterwegs sind. Die Zuschauertribüne dagegen blieb lange Zeit der Witterung überlassen. 2007 ging sie dann in Privatbesitz über, wurde von der „Avus-Tribüne GmbH" für 500.000 Euro vom Bund abgekauft. Der Bauauftrag erfolgte allerdings erst 2012. Die AVUS-Tribüne sollte sich in einen verglasten Event-Ort verwandeln. Doch in den folgenden Jahren tat sich nichts. Das Unterfangen war wohl der GmbH zu heikel.
Interview mit dem Besitzer der AVUS-Tribüne, Hamid Djadda, und Ausflug über das Gelände der ehemaligen Rennstrecke. Video von Sputnik Deutschland
Schließlich wechselte der Besitzer, der Deutsch-Iraner Hamid Djadda übernahm das Steuer und tatsächlich: Im Jahr 2017 kam es zu den ersten Bauarbeiten. Die Idee des Unternehmers: Die Tribüne soll zur A 115 hin ein verglaster Event-Ort werden. Im Bereich unterhalb der Stufen der Tribüne dagegen sollen Büroräume entstehen.
Und der Motorsport?
Skulpturengruppe „Motorradfahrer" hinter der Zuschauertribüne.
Bildquelle: Marek Heise Fotografie/ Wikimedia Commons/ CC BY-SA 4.0
Autorennen werden auf der AVUS aber wohl nie wieder stattfinden. Denn von den Schwächen der Strecke abgesehen, müsste hierzu auch die A 115 gesperrt werden – was bei dem Berliner Verkehrsaufkommen undenkbar ist. Als Alternative zur AVUS wurde denn auch im Jahr 2000 im Brandenburgischen Ort Klettwitz der EuroSpeedway Lausitz eröffnet. Dieser wurde allerdings 2017 als Rennstrecke geschlossen und an die Automobil-Prüfgesellschaft Dekra verkauft. Aktuell läuft der Vertrag des Hockenheimrings mit der Formel-1 aus, dasselbe gilt auch für den Nürburgring. Nürburg unternimmt zwar noch Versuche, den Vertrag zu verlängern, die Strecke ist aber als „zu gefährlich" eingestuft.
Formel-E-Rennen auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. 2015.
Bidquelle: AFP/ Tobias Schwarz
Ist das die Möglichkeit für Berlin, wieder Formel-1-Rennen auszurichten? Es müsste ja nicht die AVUS sein. Am 25. April 2018 stellte aus solchen Gründen der AfD-Abgeordnete Frank Scholtysek eine Anfrage an das Abgeordnetenhaus Berlin, mit der Frage, ob und inwieweit die Stadt plane, Berlin wieder zu einem Formel-1-Standort zu machen. Der Senat antwortete, dass es keine Kontakte zum Internationalen Automobilverband gebe und dass es solche Absichten vonseiten der Stadt nicht gebe. Als Grund führte der Senat an, dass das Vorhaben angesichts von Lärm- und Umweltschutz sich nicht verwirklichen ließe und auch kein Straßenland für die Formel-1 zur Verfügung stehe.

Aber seit 2015 verkehrt eine andere Formel in Berlin, die Formel E nämlich, bei der Elektrofahrzeuge auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof gegeneinander antreten.
Valentin Raskatov
Geschichte
Yuri Reuka und
JANIESCH architektur
Illustrationen
Philipp Mandelartz
Video
Erkin Rasulev
Design und Konzept
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Tilda